

Stunde der Wahrheit: Die Experten der Technischen Entwicklung warten auf die Ergebnisse aus der Druckkammer
Audi Ingolstadt, Technische Entwicklung, Gebäude T06. Hinter einer zentimeterdicken Stahltüre blicken die Experten der Aggregate-Entwicklung konzentriert auf ihre Computerbildschirme. Die Jalousien vor den Fenstern sind heruntergefahren, das Licht im Raum ist gedämmt. Es herrscht angespannte Stille. Dann startet Messingenieur Guido Grosse das Testprogramm der Druckkammer. Es zischt, als der Injektor in die stählerne Kugel mit den runden Scheiben aus gehärtetem Quarzglas geschoben wird und klickend einrastet.
Plötzlich durchzucken grelle Blitze den Raum, werfen lange Schatten und bizarre Muster an die Wände. Guido Grosse schaut zufrieden auf die ersten Bilder, die jetzt im Sekundentakt auf seinem Monitor erscheinen. „Bei jedem Blitz spritzt der Injektor eine kleine Menge Kraftstoff in die Druckkammer. Mit einer speziellen Kamera scannen wir das Spray dann in einem Raster von 50 Mikrosekunden ab und können genau erkennen, wie sich der Kraftstoff während des Einspritzvorgangs verhält“, erklärt er das sogenannte Auflichtverfahren. Die etwa fußballgroße Kugel muss dabei einiges aushalten. In ihrem Inneren herrschen Drücke von bis zu 15 bar und Temperaturen um 350 Grad Celsius. „Damit simulieren wir die gleichen Bedingungen wie in einem richtigen Motor“, so Grosse.

Glückliche Verkettung: Reiner Mangold und Sandra Novak zeigen es am Molekülmodell: Maßgeschneiderte Organismen produzieren Audi e-ethanol oder Alkane für den e-diesel
Doch nicht irgendein Kraftstoff wird hier getestet. Heute geht es um die Zukunft der CO₂-neutralen Mobilität. Auf dem Prüfstand stehen die flüssigen Vertreter der Audi e-fuels, die synthetischen Kraftstoffe von morgen. „Seit etwa einem Jahr testen wir erfolgreich die Produktion von Audi e-ethanol in unserer Demonstrationsanlage in den USA und hoffen, dass dieses Jahr auch der e-diesel folgen wird“, erklärt Reiner Mangold, Leiter Nachhaltige Produktentwicklung bei Audi. Von dort hat er gemeinsam mit Projektmanagerin Sandra Novak den Kollegen einige Liter mitgebracht. „Dass wir synthetische Kraftstoffe herstellen können, das haben wir schon bewiesen. Jetzt testen wir sie auf Herz und Nieren“, erklärt Mangold das Ziel der heutigen Mission.
Während Messingenieur Guido Grosse den Versuch in der Druckkammer überwacht, macht sich Peter Senft an die Analyse der Daten. Der Experte für Thermodynamik studiert die ausgedruckten Diagramme und Tabellen und vergleicht die erhobenen Werte mit vorhandenen. „Sieht gut aus, wirklich gut“, sagt er und schaut in Richtung Druckkammer. Noch immer blitzt es dort im Sekundentakt. „Die e-fuels verhalten sich beim Einspritzen genauso wie herkömmlicher Kraftstoff. Eine saubere Gemischbildung in der Kammer ist die Grundlage für eine optimale Verbrennung“, ergänzt er. Gespannt nimmt er ein weiteres Diagramm in die Hand. Darauf zu sehen ist ein Querschnitt des Kraftstoffstrahls aus der Druckkammer. „Während der Kraftstoff aus dem Injektor in die Kammer gespritzt wird, zerschneiden wir ihn mit einem Laser und machen zugleich ein Bild. Das Ganze geschieht in wenigen Millisekunden“, erklärt Peter Senft das sogenannte Laserlichtschnittverfahren. „Anhand der entstandenen Bilder kann ich erkennen, wie die innere Struktur des Sprays beschaffen ist.“ Nachdem er den Ausdruck eine Weile betrachtet hat, kommt er zu einem klaren Ergebnis: „Auch hier alles in bester Ordnung. Die einzelnen Tröpfchen sind gleichmäßig verteilt.“
Doch die Druckkammer ist nur die erste Prüfstation für die Audi e-fuels. Ein paar Räume weiter beobachtet Thomas Schladt, Teamkoordinator für Messtechnik, das Strömungs- und Brennverhalten der synthetischen Kraftstoffe im sogenannten gläsernen Motor. Was sonst im Zylinder durch Metallwände verborgen bleibt, wird hier für das menschliche Auge sichtbar gemacht. Ein Ring aus Quarzglas zeigt dem Beobachter, wie sich der Kraftstoff im Zylinder verhält. Bei jeder der maximal 3.000 Umdrehungen pro Minute dieses Forschungsmotors schießt eine winzige Menge Kraftstoff in den Glaszylinder, wird komprimiert, gezündet und ausgestoßen. „Wir haben den e-fuels einen sogenannten Tracer beigemischt, ein chemisches Farbmittel. Mit einem Laser regen wir diesen an, und er beginnt zu leuchten. Dort wo es im Glaszylinder besonders hell erscheint, befindet sich der Großteil des Kraftstoffs“, erklärt Schladt das laserinduzierte Fluoreszenzverfahren.
Mit einer Hochgeschwindigkeits-Kamera wird der Brennvorgang in Zeitlupe aufgezeichnet. „Wir untersuchen, wo und wie sich der Kraftstoff im Zylinder entzündet“, sagt Peter Senft, während er die Aufnahmen checkt: „Die blaue Flamme ist ein Indikator dafür, dass der Kraftstoff sauber und vollständig umgesetzt wird.“ Doch damit nicht genug. Im Gegensatz zu den fossilen Brennstoffen, die abhängig vom Fördergebiet unterschiedliche Zusammensetzungen haben, sind die synthetischen Audi e-fuels absolut reine Kraftstoffe. Peter Senft klärt auf: „Dank der chemischen Eigenschaften entstehen bei ihrer Verbrennung weniger Schadstoffe. Sie enthalten keine Olefine und auch keine Aromaten“. Sein Fazit: Bessere Gemischbildung, sauberere Verbrennung und niedrigere Emissionen. Test bestanden!
Die Experten der Abteilung Nachhaltige Produktentwicklung sind von den Ergebnissen begeistert. „Wir wissen jetzt, dass unsere e-fuels im Vergleich zu herkömmlichen Kraftstoffen gleich oder sogar besser abschneiden“, so Reiner Mangold. Die nächste Aufgabe wartet bereits: Der Produktionsprozess rund um e-ethanol und e-diesel muss weiter optimiert werden. Dann können diese neuen Kraftstoffe auch auf den Markt kommen. „Schon in naher Zukunft werden wir in der Lage sein, am Tag mehrere 100.000 Liter der synthetischen Flüssigkraftstoffe herzustellen“, sagt Sandra Novak. Ein wichtiger Schritt in Richtung nachhaltige Mobilität.



Der Text ist im Audi-Technologiemagazin 2014 erschienen, das weitere spannende Einblicke in die verschiedensten Technologie-Themen bei Audi liefert.